Woche Eins – mitten im Jahr

„…Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“, schrieb einst einer meiner Lieblings-Schriftsteller, der mich mit seinen Lebensweisheiten und klugen Gedanken schon weit länger als ein halbes Leben begleitet.

 

Ich war mir dieses Mal – in dieser ganz speziellen Geschichte – nicht wirklich sicher, inwieweit diese Worte zutreffend sein könnten.

Beim Zurückversetzen unseres Cafés in einen Zustand, in dem man auch wieder Gäste begrüßen kann, fiel mein Blick auf die Tür zum Hof.

Dort standen diese Worte immer noch, von Mascha irgendwann Anfang März an die Glasscheibe geschrieben; zu einer Zeit, als wir den Frühling erwarteten und zu einer Zeit, als uns nahezu unangekündigt – über Nacht – etwas anderes heimsuchte.

Diese Worte treffen auf durchaus viele Lebenssituationen zu. Aber auch auf diese?

Beim Fenster- & Türenputzen putzte ich rundherum.

Ich ließ sie stehen – an der Scheibe – wie einen Wegweiser in die ungewisse Zukunft.

Ein bisschen Zauber konnte ja auf gar keinen Fall schaden.

 

Ich schloss meine Tür am vergangenen Mittwoch mit einem komischen Gefühl auf, wenn ich überhaupt von einem solchen reden kann. Eigentlich fühlte es sich gar nicht an.

Meine eigenen Räume waren mir in nur drei Monaten fremd geworden. Ich war mir fremd geworden.

Ich hatte das Gefühl, neben mir zu stehen und mir selbst als einer dritten Person zu begegnen.

Wir sind im Juli, mitten im Sommer. Ich ziehe Parallelen zum vergangenen Jahr und spüre, dass sich mein Leben – nicht unbedingt sichtbar, aber dennoch – grundlegend verändert hat.

 

Freunde fragen mich, wie ich mich fühle nach einer Woche oder nach fünf Tagen zurück im alten Leben. Kann ich nach dieser kurzen Zeit schon eine alles umfassende Antwort darauf geben?

Ich denke nein. Ich bin auf dem Weg. Oder besser, wir sind auf dem Wege.

Es ist anders als zuvor. Das ist vollkommen ohne Zweifel.

Wir wünschen uns den März mit seiner Unbefangenheit zurück.

Diese Unbefangenheit in vielen Dingen nahmen wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht als solche wahr.

Sie war Normalität und rutschte, als nicht wirklich beachtenswert, irgendwie unter uns hinweg.

Wir standen mitten in ihr, ohne sie auch nur im Geringsten zu beachten.

Jetzt, da doch vieles anders ist, wissen wir, was wir an ihr hatten.

Aber auch das ist eine Erkenntnis, die wir im Leben immer wieder gewinnen dürfen.

Dann, wenn die Dinge – egal welcher Art – fort sind, werden wir uns ihrer – wenigstens manchmal – bewusst. Wahrscheinlich ist dies einer unserer zutiefst menschlichen Züge: die Realität erst im Rückblick zu verstehen.

Sie zeigt sich erst dann in allen Facetten, wenn wir schon um ein paar Ecken weitergelaufen und gewissermaßen draußen sind.

 

Es ist der Alltag, der einen letztlich zurückholt, einen umfängt und der uns wieder in seinen Strukturen hält und Sicherheit verleiht. Der Alltag, der nicht mehr so ist, wie er vorher war.

Er ist zögerlicher geworden. Er ist mit ganz vielen Fragen gefüllt, Fragen an die vergangenen Wochen und Monate und Fragen, die das Hier und Jetzt berühren.

Es ist die Freude und die dennoch darin mitschwingende Unsicherheit unserer Gäste, die den Fuß lange noch nicht wieder so selbstverständlich über unsere Türschwelle setzen, wie es einmal war – in einer Zeit, in der wir nicht ahnten, dass es einmal anders sein könnte.

Es ist eine unglaubliche Wiedersehensfreude mit Menschen, deren Sätze wie „Zum Glück seid ihr wieder da.“ oder ähnliche Formulierungen spüren lassen, dass sie von ganz tief unten kommen. Es schwingt fast eine Art Erleichterung oder tiefe Freude in ihnen mit.

 

Es ist nicht das, was wir an einem Stück Kuchen und einer Tasse heißer Schokolade verdienen, was uns den Glauben wiederfinden lässt. Das brauchen wir natürlich, um weiter zu bestehen, um zu leben.

Aber es sind die Begegnungen, die mich schrittweise zurückholen in eine Welt, von der ich nicht mehr wusste, ob sie noch Bestand haben würde.

Es schwingt so viel Glück und Zuversicht im Raum. Selbst bei Menschen, zu denen das Verhältnis zuvor eher ein neutrales war, hat sich etwas verändert.

Wir weben wieder Wortteppiche. Sie sind ein bisschen schwarz-weiß und auch ein wenig bunt.

Ich erkenne manche Gäste nicht mehr, wenn sie hinter Maske & Sonnenbrille vor meiner Küchentür stehen. Die Stimme lässt mich dann meist erahnen, wer dahinter versteckt sein könnte. Einige schauen zögernd um die Ecke und fragen, ob sie denn hereinkommen dürfen.

Jeder hat diese Zeit für sich anders erlebt. Jeder weiß anderes zu erzählen.

Es sind unsere Geschichten, die uns mit ihren unsichtbaren Fäden wieder miteinander verbinden können.

Es ist die Frage, wie wir damit in Zukunft umgehen werden, was wir annehmen und was wir mitnehmen aus dieser Zeit. Es ist auch die Frage, wer wir sind.

 

Es ist Montagmorgen der gerade anbrechenden Woche Zwei.

Ich sitze an meinem Schreibtisch, von dem aus ich in den vergangenen Wochen riesige Löcher in den mir zu Füßen liegenden Garten gestarrt habe.

Das Übermaß an Zeit war fast zur Falle geworden.

Ich überlege, wie ich die Dinge, die ich erledigen will, in einem Tag unterbringe.

Ich stelle fest, der Tag könnte zu kurz sein.

Ich habe keine Zeit, den Garten weiter mit Löchern zu unterhöhlen.

Zu vieles wartet darauf, angegangen zu werden.

Ich glaube, so fühlt es sich an, wenn das Leben schrittweise zurückkehrt.